+++ Diabetes AKTUELL +++

Meldet euch JETZT für den Newsletter an unter https://www.diabetiker-bw.de/newsletter/ und erhaltet Informationen zum Vereinsleben und Diabetes.

Diabetes Selbsthilfe – im Wandel der Zeit

Unsere Vorstandsmitglied Elke Brückel hat 2021 die Gerhard Katsch Medaille erhalten und Ihren Weg in die Selbsthilfe in nachfolgendem Artikel ausführlich geschildert. Dabei zeigt Sie auf, wie sich die Selbsthilfe weiterentwickelt hat was eine Gruppe bzw. ein Verein heute für eine Rolle hat.

Portraitfoto von Elke Brückel

Mein Weg aus der Betroffenheit in die Selbsthilfe  

Seit 1963, meinem 10 Lebensjahr, bin ich Typ-1-Diabetikerin. Obwohl Internist, behandelte mich mein Hausarzt wie eine Typ-2-Diabetikerin mit Sulfonylharnstoffen, ein Kunstfehler! Letztendlich wurde ich mit einer Ketoazidose in die Kinderklinik eingeliefert und bekam Insulin. 

Die damaligen Therapiemöglichkeiten waren sehr begrenzt. BZ-Messgeräte und Einmalspritzen gab es noch nicht und an Insulin Pens oder gar Pumpen war noch lange nicht zu denken. Trotzdem war ich eigentlich mit dieser Diagnose viel gefasster als meine Eltern und arrangierte mich mit dem Leben als Diabetikern. Mein fester Glaube an den Fortschritt der Wissenschaft motivierte mich, mein Leben in die Zukunft gerichtet zu gestalten. Ich glaubte bereits als Teenager daran, dass es bald etwas geben wird, das wir im oder am Körper tragen und das dann kontinuierlich die Glukose misst und entsprechend den Messwerten auch Insulin abgibt. Für mich ist es unfassbar, dass ich 68 Jahre alt werden musste, um zu erleben, dass wir uns diesem Ziel nähern! 

Mein Weg in die Selbsthilfe zeichnete sich bereits früh ab. 

Besonders schreckte mich damals die sehr eintönige Diätkost in der Kinderklinik ab. Diese sollte dann auch zu Hause fortgeführt werden. Also begann ich, für meine kleinen Mitpatienten und mich, anhand von BE-Tabellen abwechslungsreiche Speisepläne zu erstellen, die gerne angenommen wurden. Oft musste ich diese aber unter den strengen Augen von Schwester Elisabeth noch einmal überarbeiten, da Eiweiß und Fett nicht korrekt berechnet waren.  

Überhaupt gab es damals fast nur Verbote. Trotzdem ließ ich mich nicht davon abbringen, mit meiner Glasspritze im Rucksack nach Südfrankreich zu trampen und später aktiv, teilweise sehr erfolgreich, Motorsport zu betreiben. 

Da ich damals ständig erfolglos auf der Suche nach Mitbetroffenen war, gründete ich kurzerhand 1985 den Diabetiker Treff Baden-Baden, die erste Diabetiker-Selbsthilfegruppe im mittelbadischen Raum. In der Folgezeit kamen weitere Gruppen im größeren Umkreis hinzu. Inzwischen engagieren sich unzählige Menschen mit großem Engagement und viel Herzblut in der Diabetes Selbsthilfe. Wir verstehen uns als Mittler und Bindeglied zwischen Betroffenen, Behandlern und Kostenträgern. 

Für Menschen, die plötzlich die Diagnose „Diabetes“ erhalten, bricht zunächst die Welt zusammen. Wir unterstützen sie dabei, diese Welt wieder zusammen zu bauen.  

„Stuhlkreise“ sind längst passé – Selbsthilfe ist dem Fortschritt angepasst“ 

Neben dem Austausch untereinander war von Beginn an die Wissensvermittlung das Wichtigste, da selbst jetzt noch der größte Teil der Typ-2-Diabetiker nicht oder nicht ausreichend geschult ist. Von der Selbsthilfe organisierte Vorträge und Workshops als Präsenzveranstaltung und im digitalen Format, durch ärztliches und nichtärztliches Fachpersonal sind bis heute sehr gefragt, dazu gehört auch die Aufklärung. Beispielsweise müssen Betroffene wissen, dass das DMP mehr beinhaltet als eine HbA1c Messung im Quartal.  

Diabeteswissen ist heute im Internet jederzeit verfügbar. Eine unserer Aufgaben ist es, Richtiges und Wichtiges aus sicheren Quellen von den vielen unsinnigen Informationen zu trennen, die im Netz verbreitet werden.  
Kindern in KiTa und Schule die Teilhabe zu ermöglichen ist uns ebenso wichtig wie Therapiesicherheit bis ins hohe Alter.  

DIAschulisch (diabetiker-bw.de)
Wieland-Stiftung „Diabetes im Alter“ (wieland-stiftung-diabetes.de) 

Selbstverständlich nutzen wir alle modernen Formate wie soziale Medien, online Communitys, Newsletter, und veranstalten Barcamps für alle Diabetestypen und alle Altersklassen, sowohl digital als auch in Präsenzveranstaltungen. 

Leistungen für Mitglieder 

Außer Informationen in digitaler und Printform bieten wir Hilfe bei sozialen Fragen, Rechtsberatung in fachlichen Fragen, Unterstützung bei der Alltagsbewältigung mit Diabetes durch zertifizierte Diabetes Guides (www.deindiabetesguide.de) und vieles mehr. 

Politisches Engagement von Betroffenen als wichtige Aufgabe 

Meine jahrzehntelange Erfahrung in der Selbsthilfe und die eigene Betroffenheit zeigte mir schnell die Defizite in der Versorgung von Betroffenen. Der Rückgang der stationären wie ambulanten Diabetologie, die Geringschätzung der „sprechenden Medizin“ durch den Gesetzgeber und die Kostenträger und vor allem die rein wirtschaftlichen Aspekte, die in der Versorgung stets über den Bedürfnissen der Patienten stehen, bereiteten mir große Sorgen. Deshalb beschloss ich, mich diabetespolitisch stärker zu engagieren.  

Neben der Mitarbeit bei der Gesundheitsstrategie Baden-Württemberg und der Gründung des Fachbeirates Diabetes arbeite ich an verschiedenen Versorgungsleitlinien (u. a. an der NVL Diabetes Typ-2) sowie in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit.  

Der Gemeinsame Bundesauschuss – er bestimmt die Versorgungsqualität 

Mit Herz, Verstand und großem Erfahrungswissen zu argumentieren ist nicht unbedingt gefragt. Nach umfangreichen Einführungskursen in die Arbeit des G-BA galt es, die entsprechenden Paragrafen des Sozialgesetzbuches zu verinnerlichen. Ferner musste ich lernen, wie man Studien liest und bewertet, welches Studiendesign erforderlich ist, damit Studien zugelassen werden, die Nutzenbewertungen des IQWIG zu verstehen und die Arbeitsweise der unterschiedlichen Gremien zu durchschauen. So manches Dokument verstehe ich erst nach mehrmaligem Lesen. 

Diese Arbeit ist nicht leicht, aber unbedingt notwendig. Inzwischen arbeite ich in den unterschiedlichen AGs wie Methodenbewertung, Zweitmeinung, Erprobung und DMP mit. Auch ohne eigenes Stimmrecht werden wir als Patientenvertreter doch gehört und wahrgenommen. Man bemüht sich zumindest um einen Konsens mit der Patientenvertretung.  

Erfolge sind zum Beispiel die Verordnungsfähigkeit der Kontinuierlichen Glukosemessung über die GKV, das Zweitmeinungsverfahren bei drohender Fußamputation, die Bewertung neuer Technologien.  

Persönliche Wünsche 

Persönlich wünsche ich mir ein größeres Interesse der Betroffenen selbst und die Anerkennung dieser Arbeit. Es hilft einzig, die anerkannte Selbsthilfe mit ihrer Mitgliedschaft zu stärken, um von der Politik erhört, oder zumindest gehört zu werden. 
Eine noch größere Beteiligung der Patientenvertreter*innen bei diesen wichtigen politischen Aufgaben ist enorm wichtig. Sicher ist es eine rein ehrenamtliche, zeitaufwendige und manchmal nervenaufreibende Arbeit. Aber, wenn man sich hier einbringt, setzt man sich nicht dem Vorwurf aus, dass man nichts getan hätte, um die Versorgung von Menschen mit Diabetes zu sichern! 

Mein größter Wunsch ist es, eine einzige geeinte Diabetes-Selbsthilfe in Deutschland zu erreichen, die sich nicht instrumentalisieren lässt und auf Augenhöhe mit allen Akteuren der Diabetesszene zusammenarbeitet. 

 

Fazit 

Die moderne Selbsthilfe bietet alle Facetten der Unterstützung der Betroffenen und ist ein wichtiger Teil der Gesundheitsversorgung. Die Fachgesellschaften brauchen die Selbsthilfe und die Selbsthilfe braucht die Fachgesellschaften, um die Versorgung von Menschen mit Diabetes zu sichern. Um politisch aktiv zu werden, muss die Selbsthilfe eigenständig agieren, denn nur die betroffenen Bürger können Druck auf die Politik ausüben.  

Elke Brückel  
Gerhard Katsch Medaille 2021