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Was bedeutet die "plötzliche" Manifestation im Leben eines Neumanifestierten? 

Nathalie Gutbrod ist Mentalcoach und berät in ihrer Praxis Dia&I Menschen mit Diabetes. In diesem Artikel schreibt sie über ihre Manifestation und ihren Weg, den Diabetes zu akzeptieren. Sie scheibt zudem darüber, wie der Diabetes sie dazu bewegt hat, ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen und auch anderen Diabetikern aus dieser Motivation heraus zu helfen.

Die plötzliche Manifestation, die Diagnose „Diabetes“, wirft sehr viele, ja die allermeisten Menschen erstmal in ein Loch. Natürlich den betroffenen selbst am allermeisten, jedoch auch dessen Familienmitglieder und nahestehenden Personen. 

 

Im Jahr 2017 habe ich mit einer Studie zum Thema „Diabetes und Coaching“ begonnen. Mein Ziel war es herauszufinden, wie Diabetiker sich fühlen, was für Gedanken Sie haben, welche Ängste, Nöte, Zweifel sie bewegen und was beziehungsweise ob sie etwas an ihrem Leben zu verändern wünschten.  

Nachfolgend die Fragen / Antworten zum Thema Neumanifestation: 

1. Kannst du dich daran erinnern, was genau dir die ersten zwei Wochen nach der Diagnose durch den Kopf gegangen ist? 

Antworten: 

  •  

        Hilflosigkeit  74%

  •     Überforderung  68%

  •     Unwissenheit    98%

  •     die Frage „Warum Ich?“59%

  •     Angst, wie es jetzt weitergehen soll 82%  

2. Gibt es etwas, das du persönlich im Rückblick auf die Zeit nach der Diagnose gerne ‚anders‘ oder ‚besser‘ gemacht hättest? 

Antworten:  

  • mehr Diabetesschulungen besuchen  71% 

  • mir professionelle Hilfe holen (wegen Überforderung) 65% 

  • mehr Bücher zu diesem Thema lesen 83% 

  • meine Freunde und Familie besser miteinbeziehen 29% 

 

Die Diagnose Diabetes ist ein radikaler Einschnitt in das Leben jedes einzelnen. Das eigene Leben gerät ins Wanken, man hat  Ängste die man in dieser Ausprägung noch nicht gespürt hat, man fragt sich „wie soll ich von nun an mit dieser Krankheit leben?“. Viele meiner Klienten sind in einem regelrechten Schockzustand gefangen und können sich ein „normales“ Leben mit dem Diabetes gar nicht vorstellen.  

Die Diagnose wirbelt einiges durcheinander. Das ist Fakt und das ist auch vollkommen normal! Ich persönlich kenne keinen einzigen Diabetiker, der diese erste Phase „Schockzustand – wie geht es jetzt nur weiter?“ nicht erlebt hat.  

Fragen über Fragen. Ängste. Zweifel an den bisherigen Lebensplänen- und entwürfen. Selbstvorwürfe, Selbstzweifel und das Gefühl „nicht mehr normal“ zu sein, sind ständige Begleiter in dieser ersten Phase (auch immer mal wieder im weiteren Krankheitsverlauf, nur meist sehr viel abgeschwächter). Ja, das ist die schlechte Nachricht. Wobei die schlechte Nachricht auch etwas Gutes hat, denn meiner Ansicht nach ist diese erste Phase extrem wichtig, denn sie ist der Grundstein/die Basis für den nächsten Schritt – die Akzeptanz des Diabetes.  

 

Die gute Nachricht ist, dass dieser Schockzustand vorüber geht. Wie lange Sie dafür benötigen, das kann ich Ihnen leider nicht sagen, das hängt von jedem einzelnen Menschen selbst ab. In meiner Praxis betreue ich, unter anderem, sehr viele „Neu“ Diabetiker, die sich professionell begleiten lassen möchten. Aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich Ihnen versichern, es gibt ein Licht am Ende des Tunnels. Ich begleite Sie sehr gerne auf Ihrem Weg, zurück in das Licht – trotz Diabetes. 

 

Ich gebe Ihnen einen Einblick in meinen eigenen Weg als Diabetikerin. 

Bei mir wurde der Diabetes im Alter von achtundzwanzig Jahren diagnostiziert.  

Ungünstiger hätte der Zeitpunkt nicht sein können. Etwa vier Wochen vor der Diagnose hatte ich meinen ersten Job als Führungskraft angetreten und alle Hände voll damit, mich meiner neuen Aufgabe zu widmen. Dazu war ich frisch verliebt und schwebte auf Wolke Sieben.  

Direkt von einer Mitarbeiterbesprechung in die Notaufnahme. Eingeliefert wurde ich mit einem Blutzuckerwert von 800, was lebensgefährlich und achtmal so hoch ist wie der Normalwert, sowie einem HBA1C-Wert von 11,8, der anzeigte, dass mein Blutzucker schon lange Zeit völlig entgleist gewesen sein musste. Die ersten Tage verbrachte ich auf der Intensivstation und kann mich an fast gar nichts mehr erinnern. Ich war wie im Delirium. Darauf folgten drei Wochen Krankenhausaufenthalt und unzählige Gespräche mit Ärzten und hochspezialisierten Diabetologen. 

Nun war ich zuhause mit meinem Diabetes, und ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Deshalb machte ich einfach so weiter wie zuvor, ging arbeiten und stürzte mich vorbehaltlos in meine neuen Aufgaben als Führungskraft. Abends traf ich mich mit meinem Partner oder Freunden, habe Sport getrieben oder einfach nur gefaulenzt. Meinem Diabetes verweigerte ich mich fast durchgehend.  

Ab und zu überprüfte ich zwar meine Zuckerwerte und habe dann auch das nötige Insulin gespritzt. Doch das war es dann auch. Wenn mir schwindelig wurde, wusste ich: Traubenzucker, Traubenzucker, Traubenzucker. Und schon war wieder alles paletti. Und weiter ging es. Ganze zwei Wochen lebte ich ein „fast“ diabetesfreies Leben. Bis dann … 

… mein Körper nicht mehr mitgemacht und wiederholt so richtig in die Schranken gewiesen hat. Ich habe schlimme Unterzuckerungen und Überzuckerungen durchgemacht und mich das ein oder andere Mal im Krankenhaus wiedergefunden! Ich war schlapp, ausgelaugt, kraftlos, appetitlos und magerte ab.  

Es war tatsächlich eine schlimme Zeit, aber ich brauchte anscheinend genau diese Schlüsselerlebnisse, um aufzuwachen!  

Ich kämpfte mich sozusagen zurück ins Leben, aber nun nicht mehr in ein Leben ohne meinen „süßen Freund“ sondern in ein Leben mit dem „süßen Freund“ an meiner Seite. Ich lernte mehr und mehr, meinen Diabetes zu akzeptieren und anzunehmen. Ich integrierte ihn in mein Leben. Widerwillig! Nur bis zum folgenden Tag!  

Das war der Tag, an dem eine sehr gute Freundin an Krebs verstarb, plötzlich und mit gerade einmal einunddreißig Jahren! Das war für mich der Tag, an dem ich mir selbst sagte: „Jetzt ist Schluss!“ Denn ich hatte eines erkannt: Meine Freundin hatte keine Chance auf ein weiteres Leben, doch ich habe die sehr wohl! Ich habe diese Chance und ich möchte leben! Und ich will nicht einfach so leben und mich als Opfer der Umstände fühlen. Nein, ich will glücklich sein und ein selbstbestimmtes Leben leben. Mit meinem Diabetes!  

Diese bewusste Entscheidung hat mein Leben verändert. Ein Entschluss aus eigener Kraft.  

Ich habe Diabetesschulungen besucht und mich auf sämtlichen Wegen über diese Krankheit informiert. Doch eines fehlte mir neben den ganzen Kohlenhydrat- und Broteinheitenschulungen, medizinischen Ratschlägen und Arztbesuchen. Es fehlte mir an mentaler Unterstützung, an jemandem, der meinen Geist an die Hand nehmen und für mich da sein würde. Jemand, der sich meine Sorgen, Nöte, Ängste, Zukunftsängste, Dramen, Stimmungsschwankungen und Selbstzweifel anhörte – all das, was der Zucker in mir auslöste. Klar, es gab meinen Arzt und meine Diabetesberaterin, aber die hatten schlichtweg keine Zeit für diese Themen, zumindest nicht in dem Ausmaß, in dem ich es zum damaligen Zeitpunkt gebraucht hätte. Das soll jetzt bitte nicht als Vorwurf an die Ärzte oder Diabetesberater/innen verstanden werden! Ich finde, all diese Menschen machen einen absoluten super Job. Aber es fehlt ihnen für diese Themen oftmals schlicht die nötige Zeit.  

So bin ich selbst auf die Suche nach einer Lösung gegangen und habe mich an einen Business-Coach aus der Bank gewandt, den ich Monate zuvor über meinen Arbeitgeber kennengelernt hatte. Ich wollte etwas ausprobieren. Und was sollte schon schiefgehen? Besser irgendeine Hilfe als gar keine Hilfe. Ich wollte alles beseitigen, was mir und meinem freien Leben im Weg stand. 

Bei meinem Coach fand ich den Raum und die Zeit, all das auszudrücken, was mich bewegte und beschäftigte. Die Dame war zwar keine Medizinerin, kein Diabetescoach, aber sie hat mir unendlich geholfen und ich werde ihr für immer dankbar für die Hilfestellung sein, die sie mir gab, als ich sie am nötigsten hatte. Sie hat mir Wege und Möglichkeiten aufgezeigt, mit meinem ‚Schicksalsschlag‘ umzugehen und hat mich bestärkt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen; mit dem Diabetes! (Oder erst recht deswegen?!) 

Nach dieser Zeit mit meinem Coach habe ich selbst eine dreijährige Ausbildung als systemischer Coach begonnen und absolvierte parallel eine Ausbildung zur Ernährungsberaterin und zum Kinder- und Jugendcoach. 

Warum? Weil ich anderen Menschen mit der Zuckerkrankheit helfen wollte. Ich wollte dieser Coach werden, der den Betroffenen den Weg in ein selbstbestimmtes Leben weist. Das war mein Ziel und ich habe voller Energie darauf hingearbeitet. Tag für Tag. Ich brannte für dieses Ziel und glaubte jede Sekunde daran, dass ich damit Großes bewirken werde! Für Sie! Für uns Diabetiker. 

Heute bin ich Coach für Diabetiker und deren Angehörige. Aus Leidenschaft. 

 

Nathalie Gutbrod – www.diaandi.de  

10.01.2021