Sind Diabeteskinder in der Schule benachteiligt?
An Diabetes erkrankte Kinder und Jugendliche sind durch die Therapiemaßnahmen und deren Auswirkungen in vielerlei Hinsicht gegenüber ihren gesunden Klassenkameradinnen und Klassenkameraden benachteiligt:
- Sie benötigen Zeit zur Kontrolle und Behandlung des Diabetes (Messen bzw. Ablesen des Zuckerwerts, Verabreichung von Insulin, Einschätzen und Aufnahme der Lebensmittel). Diese Zeit geht z.B. bei Klassenarbeiten oder Prüfungen verloren.
- Während des Unterrichts müssen Behandlungsmaßnahmen jederzeit möglich sein.
- Trotz des in Schulen allgemein üblichen Handy-Verbots muss die Nutzung eines Smartphones möglich sein (Nutzung der Apps zur Glukosemessung oder Steuerung der Insulinpumpe). Bei Unklarheiten muss die Kontaktaufnahme mit den Eltern jederzeit gewährleistet sein.
- Unter- bzw. Überzuckerungen beeinträchtigen die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit; insbesondere bei Klassenarbeiten oder Prüfungen.
Trotzdem sind Kinder und Jugendliche mit Diabetes abgesehen von solchen Ausnahmen körperlich und geistig genauso leistungsfähig wie stoffwechselgesunde Kinder/Jugendliche.
Was ist ein Nachteilsausgleich und wie beantragt man ihn?
Benachteiligungen können durch „Nachteilsausgleiche“ ausgeglichen werden. In allen Bundesländern gibt es für die Schulen entsprechende Regelungen. Jeder empfindet Benachteiligungen anders; entsprechend müssen die Nachteilsausgleiche auch auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt sein. Das bedeutet aber auch: Pauschale Regeln für Nachteilsausgleiche bei bestimmten Behinderungen sind nicht möglich. Jeder Einzelfall muss für sich entschieden werden. Umgekehrt darf es aber nicht sein, dass durch Nachteilsausgleiche Vorteile gegenüber anderen entstehen. Dies gebietet der Gleichheitsgrundsatz. Nachteilsausgleiche dürfen also zu keiner Bevorzugung gegenüber anderen Kindern führen.
Hier einige Beispiele für Nachteilsausgleiche:
- Aufhebung des Handyverbots im Unterricht.
- Sonderregelung zur Nutzung eines Smartphones während einer Klassenarbeit oder einer Prüfung. Dieses liegt z.B. bei auf dem Lehrertisch und kann unter Aufsicht eingesehen und bedient werden.
- Angemessene Verlängerung der Prüfungszeit zum Ausgleich des Zeitverlusts, der durch Behandlungsmaßnahmen entsteht.
- Verlängerung oder notfalls auch Abbruch von Klassenarbeiten oder Prüfungen, wenn Unterzuckerungen ein Weiterarbeiten verhindern. Möglichkeit zur Wiederholung zu einem anderen Zeitpunkt.
Die Beantragung eines Nachteilsausgleichs erfolgt in der Regel formlos schriftlich an die Schulleitung. Im Vorfeld von Abschlussprüfungen ist evtl. mit einer längeren Bearbeitungszeit zu rechnen, da meistens übergeordnete Dienststellen wie die (Ober-) Schulämter eingeschaltet werden. Die persönlichen Beeinträchtigungen sollten möglichst genau beschrieben werden. Es empfiehlt sich, dem Antrag ärztliche Atteste beizufügen.
Kindergarten- und Schulbegleitung – Urteil vom 07.02.2025
Kinder mit Diabetes benötigen im Kindergarten und in der Grundschule in vielfältiger Art Unterstützung von Erwachsenen bei der Durchführung ihrer Behandlung. Wenn Erziehungs- oder Lehrkräfte nicht freiwillig zu dieser Tätigkeit bereit sind, werden Begleitpersonen benötigt. Nach einer am 1. November 2023 in Kraft gesetzten Gesetzesänderung herrschte Chaos, da ab diesem Zeitpunkt extrem verschärfte Anforderungen gestellt wurden, die kaum zu erfüllen waren. Nun hat das Sozialgericht hat Darmstadt ein interessantes Urteil gefällt.
Mit zunehmendem Alter des Kindes benötigt dieses immer weniger Unterstützung von Erwachsenen bei der Behandlung. Häufig ist das Personal in Kindertagesstätten und Schulen zur Mithilfe bereit, zumal mit fortschreitender Technik keine Blutentnahme zur Messung des Blutzuckers und auch kein Umgang mit Spritzen oder Pens mehr erforderlich ist. Sollten sich trotzdem Erziehungs- oder Lehrkräfte weigern, die Verantwortung zu übernehmen, dann ist abhängig von der Entwicklung des Kindes eine Begleitperson erforderlich. Ihre Aufgaben sind neben den rein medizinischen Maßnahmen (Blutzucker messen, Insulin dosieren und verabreichen) auch die Beobachtung des Kindes, um Stoffwechselentgleisungen rechtzeitig erkennen und behandeln zu können. Im Zuge der Gesetzesänderung war dann im Herbst 2023 die sogenannte „Spezielle Krankenbeobachtung“ von der häuslichen Krankenpflege weg in den Bereich der außerklinischen Intensivpflege (AKI) verschoben worden, die, wie der Name sagt, nur für Schwerstkranke gedacht ist und von Intensivpflegekräften durchgeführt werden muss. Anträge auf Begleitung wurden seitdem von den Krankenkassen häufig mit Verweis auf die neue Rechtslage abgelehnt.
Betroffene Eltern haben Sozialgerichte eingeschaltet. Diese erließen im Eilverfahren einstweilige Anordnungen, die die Krankenkassen verpflichteten, außerklinische Intensivpflege zu genehmigen. Unklar blieb jedoch, wie die Gerichte endgültig entscheiden werden. Beim Sozialgericht Darmstadt wurde jetzt ein Fall in der ersten Instanz entschieden (Az. S 13 KR 262/23, 07.02.2025). Das Gericht geht davon aus, dass Schulbegleitung keine Aufgabe der außerklinischen Intensivpflege sei, da sie auch von angelernten Erwachsenen durchgeführt werden könne. Somit gehöre die Ausübung der Schulbegleitung in den Bereich der „häuslichen Krankenpflege“ – wie schon vor der Gesetzesänderung.
Nun bleibt abzuwarten, ob die beklagte Krankenkasse gegen dieses Urteil Berufung einlegen wird, ob andere Gerichte bei anhängigen Verfahren ähnlich entscheiden werden und wie höhere Instanzen die Rechtslage sehen.