Wenn man im Krankenhaus untersucht oder behandelt werden muss, ist man meist etwas angespannt: man ist nicht mehr nur so leicht krank, dass man ambulant untersucht oder behandelt werden kann, oder man weiß nicht genau, mit welcher Diagnose man sich auseinandersetzen muss oder wie eingreifend möglicherweise eine Operation werden wird. Hat man noch einen Typ-1-Diabetes als Daueraufgabe, wird die Anspannung noch etwas größer, weil man nicht weiß, wie das Diabetesmanagement unter den unbekannten Rahmenbedingungen durchgeführt werden kann.
Unter der Bezeichnung „Diabetes mellitus“ werden leider mindestens zwei von ihrer Entstehung her völlig unterschiedliche Erkrankungen zusammengefasst, weil sie mit einer Urinzuckerausscheidung als gemeinsamem Merkmal einhergehen. Die Ursache dafür könnte aber kaum unterschiedlicher sein. Der Typ-2-Diabetes ist allen Mitarbeitenden im Gesundheitswesen sehr vertraut, da er fast 10 % der Bevölkerung betrifft, und bei mindestens 20 % der Menschen, die im Krankenhaus behandelt werden, als Nebendiagnose vorliegt. Unter den Bedingungen einer stationären Behandlung kann oft die medikamentöse Behandlung mit Tabletten oder auch Insulin reduziert oder gar abgesetzt werden, wenn die Patienten nüchtern bleiben müssen, ohne dass die Blutzuckerwerte deutlich schlechter werden.
Beim Typ-1-Diabetes ist die Situation völlig anders: Diese Diabetesform entsteht durch den Insulinmangel, der durch die autoimmune Zerstörung der Insulin-produzierenden Inselzellen ausgelöst wird. Die Behandlung wird mit dem gezielten Ersatz des fehlenden Insulins sichergestellt. Dazu sind oft nur überraschend kleine Insulinmengen erforderlich, die angesichts der sonst beim Typ-2-Diabetes gemachten Erfahrungen für Überraschungen sorgen. Auch das Risiko einer Stoffwechselentgleisung ist deutlich höher, wenn Insulin reduziert wird. Wird Insulin abgesetzt, ist eine Stoffwechselkatastrophe kaum zu vermeiden.
Der Mensch mit Typ-1-Diabetes muss zwar statistisch häufiger als jemand ohne Diabetes ins Krankenhaus, aber sein Diabetestyp ist deutlich seltener als der oben dargestellte Typ-2-Diabetes. Deshalb ist die Erfahrung mit diesem Krankheitsbild bei Nicht-Diabetologen im Krankenhaus eher klein.
Ein weiterer wichtiger Punkt im Hinblick auf die Herausforderungen eines Typ-1-Diabetes mellitus als Nebendiagnose einer stationären Behandlung ist darin begründet, dass das Krankenhaus bzw. das stationäre Umfeld für den Betrieb zur Ursachenforschung und / oder Reparatur gestörter Körperfunktionen optimiert ist. Die Rolle des Patienten in diesem System ist eher passiv. Beim Typ-1-Diabetes handelt es sich aber um eine chronische Stoffwechselstörung, deren Alltagsmanagement nur durch einen aktiven Betroffenen geleistet werden kann. Bei einer stationären Behandlung ist das Risiko des Konfliktes zwischen dem „aktiven Diabetesmanager in eigener Sache“ einerseits und dem des passiven „Patienten“, der sich im Krankenhaus behandeln lassen muss, sehr hoch.
Also wie geht man am besten vor, wenn man als Mensch mit Typ-1-Diabetes in stationäre Behandlung muss?
Wichtig ist zunächst mal die Klärung der Frage, ob es in dem Krankenhaus, in dem Sie sich behandeln lassen wollen, einen diabetologischen Konsildienst (mit einem/r DiabetologIn oder einem/r DiabetesberaterIn) gibt. Mit einem Mitglied des Diabetesteams (falls vorhanden) können Sie Ihre Routinetherapie besprechen und überlegen, wie sie im Krankenhaus weiter durchgeführt werden kann. Am besten ist es sicherlich, wenn Sie jeweils vor den Mahlzeiten Ihren Blutzucker selbst messen oder so gemessen bekommen, dass Sie selbst mit Ihren eigenen Regeln ihre Insulintherapie fortführen können. Die diabetologisch versierten Mitarbeitenden aus dem Haus können ggf. bereits vor Stoffwechselveränderungen mit Ihnen und ihren KollegInnen im Haus klären, nach welchen Algorithmen hohe oder niedrige Werte korrigiert werden oder andere Dosisanpassungen durchgeführt werden. Änderungen des Insulinbedarfs können ja nicht nur durch operative Eingriffe, sondern auch durch diagnostische Maßnahmen oder Einnahme neuer Medikamente auftreten. Wenn es keinen diabetologischen Konsildienst gibt, müssen Sie selbst die Algorithmen Ihrer Insulintherapie gegenüber der Pflege und den ÄrztInnen darlegen. Darüber hinaus müssen Sie für eine adäquate Insulintherapie wissen, wie viele Kohlenhydrate die einzelnen Mahlzeiten enthalten und wie sie berechnet werden.
Wenn Sie im Alltag eine kontinuierliche Glukosemessung nutzen, sollten Sie dies auch im stationären Umfeld tun; falls nicht, nehmen Sie Ihr Blutzuckermessgerät für die kapilläre Messung mit, damit sie ggf. situativ den Blutzucker messen können. Nicht in allen Häusern sind die Werte jeweils so verfügbar, dass Sie damit Ihre Mahlzeitendosen berechnen können.
Die Nutzung einer Pumpe oder eines AID-Systems wird nur möglich sein, wenn Sie das System selbst steuern können; für eine länger dauernde Operation / Narkose wird sich kein/e AnästhesistIn auf die Nutzung eines solchen Systems einlassen können, da es sich um ein Medizinprodukt handelt, in dessen Verwendung er oder sie nicht eingewiesen wurde. Dann müssen Sie präoperativ Ihre basale Insulinversorgung klären.
Wenn Sie eine OP mit Vollnarkose und vielleicht sogar einen anschließenden Aufenthalt auf Intensivstation vor sich haben, müssen Sie ebenfalls die bereits erwähnten Informationen an die Mitarbeiter des Hauses weitergeben. Besonders wichtig ist es, dass Sie selbst im Vorfeld Ihre basale Insulinversorgung überprüft haben und genau angeben können, wieviel Insulin Sie auch für einen Nüchternzustand benötigen. Da die Unterzuckerung in der Narkoseeinleitung gefährlich sein kann, neigen die Anästhesisten dazu, präoperativ das Insulin abzusetzen. Da Sie in der Vorbereitung auf eine OP nüchtern bleiben müssen, sollte natürlich auch in den letzten Stunden vor einer OP eine Unterzuckerung vermieden werden. Das Absetzen von Insulin könnte aber für Sie den Einstieg in eine Stoffwechselentgleisung bedeuten und ist deshalb ebenfalls ungünstig. Um die präoperative Phase möglichst sicher zu gestalten, können Sie sich schon für die Nacht vor einer OP eine periphere Venenverweilkanüle legen lassen, die angespült und dann „ruhend“ gestellt wird. Ob die Insulindosierung für diesen Zeitraum unverändert beibehalten oder reduziert wird, können Sie dann mit den behandelnden ÄrztInnen entscheiden. Im Fall einer doch auftretenden Unterzuckerung kann man dann - weitgehend stressfrei – den Blutzucker durch intravenöse Gabe von Glukoselösung den Blutzucker stabilisieren, ohne dass Sie essen oder trinken müssen. Falls Sie postoperativ oder als Notfall auf einer Intensivstation (vielleicht sogar mit eingeschränktem Bewusstsein) behandelt werden müssen, müssen Sie sich auf die Kompetenz des Behandlungsteams verlassen. Für alle Beteiligten ist es aber wichtig, sich an die Tatsache zu erinnern, dass ein Mensch mit Typ-1-Diabetes auch im Nüchternzustand Insulin benötigt. Wenn Sie keine Ernährung mehr intravenös benötigen und wieder klar denken und rechnen können, können Sie auch Ihre Insulintherapie wieder in Eigenregie übernehmen.
Der Autor hofft, dass Ihnen die Erläuterungen helfen, einen evtl. erforderlichen stationären Aufenthalt erfolgreich ohne Blutzucker-Ausreißer zu gestalten.
Autor: Dr. Bernhard Lippmann-Grob
Facharzt für Innere Medizin mit den Zusatzbezeichungen Diabetologie und Medizinhygiene; Risikomanager nach ÖNORM 4903
Eine Checkliste ist weiter unten zum Download bereitgestellt.

